2011/2012
Lost in Yonkers – Eine ganz normale Familie 13 +
von Neil Simon
in der Übersetzung von Alexander F. Hoffmann und Hannelene Limpach
Stückinfo
Ort: | Renaissancetheater, Neubaugasse 36, 1070 Wien |
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Zeitraum: | 12. April 2012 - 10. Mai 2012 |
Premiere: | 17. April 2012 |
Dauer: | 02:30 |
Regie: | Thomas Birkmeir |
»Großmutter: Dieses Haus ist kein Haus für Kinder. Ich bin eine alte Frau. Ich rede nicht gerne. Ich mag keinen Lärm. Ich mag keine Leute in meinem Haus.«
Neil Simon. Lost in Yonkers – Eine ganz normale Familie
Yonkers, New York State, im Jahr 1942. Während im fernen Europa der Zweite Weltkrieg tobt, haben der fünfzehnjährige Jay Kurnitz und sein zwei Jahre jüngerer Bruder Arty vor allem ein Problem: Das ist über 70 Jahre alt, mit einem Stock bewaffnet und macht ihnen das Leben zur Hölle. Dumm nur, dass es sich dabei um ihre eigene Großmutter handelt. Und weil das noch nicht genügt, sollen sie das komplette nächste Jahr bei ihr einziehen – eine Horrorvorstellung. Denn ihr Vater Eddie muss einen Job annehmen, der ihn zwingt, zwölf Monate durch die Vereinigten Staaten zu reisen. Dabei sind Jay und Arty nicht die einzigen, die unter dem strengen, mitleidlosen Regiment der eisernen Matriarchin zu leiden haben. Tante Bella, die ebenfalls mit im Haus lebt, bekommt die Unberechenbarkeit tagtäglich zu spüren – ob das ein Grund für ihre Anflüge von Verwirrtheit ist? Auch ihre Schwester Gert hat die harte Hand nicht gut vertragen – wenngleich ihre Atemprobleme Jay die Gelegenheit zu ziemlich gelungenen Imitationen bieten. Einzig Onkel Louie, der angeblich höchst zwielichtigen Geschäften nachgeht, scheint immun gegen Großmutters Manipulationen und Boshaftigkeit. Zwölf Monate in diesem gefühlskalten Klima können ganz schön lang werden – selbst, wenn man direkt über dem familieneigenen Candy-Shop wohnt. Ob Jay und Arty die Zeit dennoch gut überstehen werden? Und sind alle im Hause Kurnitz bereit, für immer klein beizugeben?
Der vielfach preisgekrönte Autor Neil Simon hat mit »Eine ganz normale Familie« ein Familiendrama der besonderen Art geschrieben. Ebenso packend wie komisch, mit berührenden Figuren und emotionalen Auseinandersetzungen. Nicht umsonst wurde das Werk nicht nur mit dem Tony Award als bestes Stück, sondern auch noch mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet.
Aufführungsrechte: S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main.
Besetzung
Jay | Raphael Nicholas |
Arty | Stefan Rosenthal |
Eddie | Uwe Achilles |
Bella | Pia Baresch |
Großmutter Kurnitz | Sylvia Eisenberger |
Louie | Frank Engelhardt |
Gert | Paola Aguilera |
Regie | Thomas Birkmeir |
Bühnenbild | Jens Jehle |
Kostüme | Irmgard Kersting |
Licht | Lukas Kaltenbäck |
Dramaturgie | Gerald Maria Bauer |
Assistenz und Inspizienz | Florian Pilz |
Hospitanz | Oliver André Timpe |
Kritiken
Kurier – 30.04.2012Das strenge Regime einer Oma
Amerika im Kriegsjahr 1942: Die Brüder Jay und Artie Kurnitz werden von ihrem Vater bei der Großmutter abgegeben. An sich keine große Sache, doch die Oma ist eine Frau aus Stahl: eine Tyrannin mit dickem Seelenpanzer, die ein fast unerträglich strenges Regime führt. Schon ihre eigenen Kinder sind davon traumatisiert: Tochter Gertie bekommt Panikattacken und ringt nach Luft, wenn sie mit der Mutter sprechen muss; Bella, die zweite Tochter, ist schwer neurotisch und wird vom Rest der Familie wie eine Behinderte behandelt; Louie ist ein Gauner und Gelegenheitsdieb; und Eddie, der Vater der beiden Buben Jay und Artie, herzkrank. So, als müsste er seine eigene Familiengeschichte mit dem durch den Krieg abwesenden Vaters aufarbeiten, hat US-Autor Neil Simon sein Drama " Lost in Yonkers - Eine ganz normale Familie" geschrieben. Ein großes Stück, ausgezeichnet mit einem Tony Award und dem Pulitzerpreis. Die Inszenierung für das Theater der Jugend war folglich Chefsache für Thomas Birkmeir: Der Hausherr selbst führt in der Neubaugasse gekonnt Regie. Mit sicherer Hand führt er seine Bühnenfamilie: Sylvia Eisenberger, die alte Tyrannin, die großartige Pia Baresch (Bella), Raphael Nicholas (Jay), Stefan Rosenthal (Artie), "Louie" Frank Engelhardt und "Eddie" Uwe Achilles. Schön. (...)
Susanne Lintl
Kronenzeitung – 20.04.2012
Neil Simons „Lost in Yonkers“ im Renaissancetheater - „Eine ganz normale Familie“
Neil Simons „Lost in Yonkers“, ausgezeichnet mit dem Pulitzer-Preis und einem Tony Award als bestes Stück, ist der neue Hit: Eine einfühlsame Theater-der-Jugend-Produktion über das Leben im New Yorker Stadtteil Yonkers im Renaissancetheater. Zurecht gilt Simon (85) als populärster Dramatiker.
Zwei Jungen kommen ins Haus der strengen Großmutter, die als Jüdin in Berlin Schlimmes erlebte und sich im Zweiten Weltkrieg als Mutter von 6 Kindern total verhärtete. Ein strenges Regiment, unter dem die beiden Jungen, doch noch mehr ihre Tante Bella leidet, die geistig zurückgeblieben ist. Alles geht gut aus, der Vater der Jungen kehrt zurück, die Tante findet ihr persönliches Glück, doch zuletzt erkennt die Großmutter, dass übertriebene Härte keine Lösung ist. Ein Onkel, der obskure Geschäfte betreibt, gehört ebenfalls zur „ganz normalen Familie“.
Thomas Birkmeir inszenierte behutsam in der von Jens Jehle mit vielen Treppen gegliederten Bibliothek der Großmutter. Raphael Nicolas und Stefan Rosenthal brillieren als die Jungen Jay und Arty, Uwe Achilles ist der Vater, den die Krankheit seiner Frau in große Schulden gestürzt hat, Sylvia Eisenberger die vom Schicksal verhärtete Großmutter. Pia Baresch glänzt als zurückgebliebene Bella, die den richtigen Weg geht und alles ins Lot bringt.
Volkmar Parschalk
Wiener Zeitung – 20.04.2012
Familiärer Psychoterror im Theater der Jugend: "Lost in Yonkers" von Neil Simon - Eine wirklich ganz normale Familie?
Warum Neil Simons tragikomischem, 1991 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnetem Schauspiel "Lost in Yonkers" der hinterfotzige Untertitel "Eine ganz normale Familie" verpasst wurde, lässt sich schwer nachvollziehen. Denn im Hause Kurnitz geht es unter dem Schreckensregime einer tyrannischen Großmutter alles andere als normal zu: Die Söhne und Töchter der alten Matriarchin sind allesamt schwer gestört, während die halbwüchsigen Enkel auf ihre Art gegen die Versklavung aufmucken.
Im Schaffen von Neil Simon, dem unangefochtenen Spezialisten für heiter-besinnliche Boulevardkomödien mit gesellschaftskritischem Hintergrund, nimmt dieses menschliche Abgründe aufzeigende Werk fraglos eine Sonderstellung ein. Zum Nachdenken regt es allemal an, auch wenn es - wie nun in Thomas Birkmeirs zwischen situationskomischen und beklemmenden Szenen balancierender Inszenierung im Theater der Jugend - das Publikum mit einer ganzen Reihe offen gebliebener Fragen entlässt.
Deponierte Söhne
Der im Text nur angedeutete historische Rahmen - New York 1942, nach Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg - wird durch die Kostüme (Irmgard Kersting) zum Ausdruck gebracht. Eddie Kurnitz, infolge der Behandlungskosten seiner an Krebs verstorbenen Frau schwer verschuldet, hat Aussicht auf einen lukrativen Job als Handlungsreisender. Doch wohin nun mit seinen zwei lebhaften halbwüchsigen Söhnen Jay und Arty (Raphael Nicholas, Stefan Rosenthal)? Er beschließt, sie bei seiner Mutter zu deponieren, was dieser ebenso missfällt wie den beiden gewitzten Bengeln. Hat doch Oma Kurnitz, aus einer deutsch-jüdischen Familie stammend, bereits die eigenen Kinder mit schwarzpädagogischen Maßregelungen fürs Leben "stark" zu machen versucht. Sylvia Eisenberger bietet die eindrucksvolle Studie einer Frau, die - wohl nach dem Verlust ihres Mannes und zweier Kinder - sich selbst jede Gefühlsregung untersagt hat.
In ihrer Gegenwart wird Uwe Achilles als Eddie zum verschüchterten kleinen Jungen, dessen Bruder Louie (Frank Engelhardt) hat zwar Reißaus genommen, ist aber im Gangstermilieu gelandet. Von den beiden Töchtern leidet Gertrud (Paola Aguilera), sobald sie der Mutter gegenübersteht, an einer psychisch bedingten Sprachstörung, während die geistig infantile, von einem eigenen Baby träumende Bella (Pia Baresch) trotz ihrer 36 Jahre als lebenslanges "Kind" gedemütigt und drangsaliert wird. Trotzdem gelingt gerade der nach emotionaler Zuwendung bedürftigen Bella, die sich mit ihren beiden ins Haus geschneiten Neffen verbündet, der Schritt in die Freiheit.
Im letzten Bild, als Jay und Arty vor Glück strahlend vom heimgekehrten Vater abgeholt werden, trägt sie voll Stolz ihren Babybauch zur Schau. Großmutter Kurnitz, wie eh und je in untadeliger, unnachgiebiger Haltung auf ihren Stock gestützt, bleibt allein zurück. Für sie gibt es kein Happyend.
Hilde Haider-Pregler
Der Standard – 20.04.2012
Stahl schmilzt nicht so schnell - Neil Simons "Lost in Yonkers - Eine ganz normale Familie" im Renaissancetheater
Das 1991 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete Familiendrama Lost in Yonkers - eine ganz normale Familie von Neil Simon erzeugt bei der Premiere im Renaissancetheater zwar Lacherfolge, tiefere Gefühlsbewegungen bleiben aber aus. Die Exposition ist einfach: Im Kriegsjahr 1942 müssen die halbwüchsigen Brüder Jay (souverän: Raphael Nicolas) und Arty (schön zaudernd: Stefan Rosenthal) zwölf Monate lang unter den Fittichen ihrer tyrannischen Großmutter leben, weil die Mutter gestorben und der Vater (Uwe Achilles) auf Geschäftsreise ist.
Oma Kurnitz (Sylvia Eisenberger) haben vergangene Erlebnisse bedauerlicherweise so verhärmt und gefühlskalt gemacht, dass weder die verwirrte Tante Bella (beachtlich: Pia Baresch) noch der kleinspurige Ganovenonkel Louie (sympathisch: Frank Engelhardt) etwas gegen sie auszurichten wissen. Dass solch restriktive Atmosphäre früher oder später zu Entladungen führt, ist klar. Weil sich gegen den stählernen Widerstand die Persönlichkeiten herausschälen müssen, kommt die Klimax dann auch mit einer Menge Beweisproben und Beichten daher, wirkliche Emanzipation von der Schreckensoma gelingt aber nicht.
Thomas Birkmeir hat Simons allzu glückliches Ende ein wenig harscher gestaltet, das ist ihm anzurechnen. (...) Punkten kann das kleine Familien-Lehrstück, indem es uns glaubwürdig ins Milieu der amerikanischen Vierziger versetzt. Das mit pastellfarbenen Schokoladenboxen aus Karton geschmückte Bühnenbild (Jens Jehle) ist konventionell schön geworden, gut auch der erzähltechnische Kniff, über den der Vater periodisch in die Heimat berichtet. Insgesamt bietet das kurzweilige Unterhaltung (...).
Timon Mikoczi
KiKu – 20.04.2012
Frankensteins Braut - Wenn Kinderlärm unerwünscht ist - "Lost in Yonkers" im Theater der Jugend
Die Story „Lost in Yonkers" von Neil Simon ist zwar eingebettet in einen geschichtlichen Rahmen: USA, 1942, Krieg, eine vor der Verfolgung durch die Nazis geflüchtete jüdische ältere Dame. Sie umfasst aber durchaus – dem Untertitel entsprechend (eine ganz normale Familie) – auch beinahe zeitlose Generationenkonflikte. Wenngleich gerade Großeltern heutzutage wahrscheinlich quicklebendigen Enkelkindern gegenüber aufgeschlossener und toleranter sind als so manche – auch hochgebildete, sich wahrscheinlich in anderen Zusammenhängen recht liberal gebende Nachbarn (klagte doch in Salzburg ein Ärztepaar gegen einen Kindergarten, beispielsweise).
Zweieinhalb recht kurzweilige Stunden spielen sich im Wohnbereich über einem Laden ab – die beiden Enkelsöhne Jay (15 ½) und Arty (13 ½) – oder Jacob und Arthur, wie sie die bissige, kratzbürstige, diktatorische Großmutter zu nennen pflegt – müssen zehn Monate bei ihr leben. Ihre Mutter ist gestorben, der Vater muss als Handelsreisender durch die Lande ziehen, um die Schulden für die Krebsbehandlung der Mutter abzuzahlen.
Überlebens-Humor
Jede noch dazu gar fröhliche, verspielte, Lebensäußerung der Jungs ist der Oma zuwider. Die Vertreibung durch die Nazis solle sie nicht an ihnen auslassen, schleudert ihr eines Tages der jüngere, mutigere, aufmüpfigere Enkel an den Kopf.
Trotz der ernsten Ausgangslage, schwingt in Simons Stück – und der Theater-der-Jugend-Inszenierung – ziemlich viel Humor mit, der immer auch an leicht sarkastischen jüdischen Witz selbst angesichts blutiger Verfolgung erinnert.
Sollte Vater, der immer wieder kurz auf der Bühne auftaucht und Postkarten oder Briefe schreibt, Abraham Lincoln treffen, dann möge er auch die beiden jungen Sklaven in Yonkers befreien. Jay erinnert sich, die Oma, schon als er fünf Jahre alt war, als „Frankensteins Braut" gemalt zu haben, so arg habe er sie bei einem der seltenen Besuche empfunden.
Gut gespielt
Raphael Nicholas und Stefan Rosenthal schaffen die schwierige Aufgabe, die beiden unterdrückten, doch ansatzweise rebellierenden Burschen glaubhaft als Jugendliche zu spielen. Sylvia Eisenberger nimmt man die hartherzig gewordene Alte ab, wenngleich ihre ziemlich jung wirkende Stimme und Sprache irritiert. Herrlich sympathisch wirkt Pia Baresch als Tante Bella, allerdings wirkt die erste Begegnung mit den Jungs, wo sie so völlig verwirrt und verloren agiert, stark übertrieben – vor allem weil sie in der Folge zwar schon, aber nie wieder derart stark durch den Wind agiert.
Trotz nur – teils sehr - kurzer Auftritte überzeugen sowohl Uwe Achilles als Eddie, der Vater der Jungs, als auch eine weitere Tante (Paola Aguilera als Gert) und Onkel Louie (Frank Engelhardt).
Heinz Wagner
Materialien
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