2003/2004
Die traurige Ballade von John Merrick, genannt: Der Elefantenmensch 11 +
von Peter Lund (Text) und Niclas Ramdohr (Musik)
Uraufführung
Stückinfo
Ort: | Renaissancetheater, Neubaugasse 36, 1070 Wien |
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Zeitraum: | 10. März 2004 - 27. März 2004 |
Premiere: | 12. März 2004 |
Regie: | Peter Lund |
»Tis true, my form is something odd,
John Merricks Lieblingsgedicht
but blaming me is blaming God.
Could I create myself anew
I would not fail in pleasing You.«
»Kommen Sie! Staunen Sie! Versäumen Sie nicht, welch grausame Überraschung Mutter Natur für Sie bereit hält! Eintritt: 2 lumpige Pennies!«
Diese marktschreierische Einladung hat der junge John Merrick wohl oft in seinem Leben über sich ergehen lassen müssen. Denn was es zu bestaunen gab, war er selbst. Von Kindheit an durch eine seltene Krankheit deformiert, wurde er als »sprachloses Monster«, als »Elefantenmensch«, in den Freakshows der Jahrmärkte des vorletzten Jahrhunderts zur Schau gestellt.
Erst als der Arzt Frederick Treves sich aus wissenschaftlichem Interesse seiner annimmt, entdeckt die viktorianische Gesellschaft in dem »unmenschlichen« Körper eine zarte menschliche Seele – und ist begeistert! Die Tatsache, dass John Merrick im Widerspruch zu seinem Äußeren auch für die schönen Künste empfänglich ist, Charme und Esprit besitzt, macht die Attraktion noch größer.
John Merrick avanciert in kurzer Zeit zum Star der Londoner High Society. Jeder will ihn kennenlernen, und selbst der Buckingham Palace ruft zur Audienz, nachdem die Gerüchte um den Elefantenmenschen an die sittenstrenge Queen Victoria herangetragen wurden.
Plötzlich wird der, dem immer nur Abscheu entgegenschlug, von allen geliebt. Doch zum ersten Mal in seinem Leben spürt John auch, wie weh es tun kann, einen anderen Menschen zu lieben …
Ein Auftragswerk für das THEATER DER JUGEND in Koproduktion mit der Neuköllner Oper Berlin://www.neukoellner-oper.de/.
Besetzung
John Merrick | Samuel Schürmann / Jörn Linnenbröker |
Faghead | Horst Eder |
Zirkusdirektor | Peter Steiner |
Broomstick | Johannes Kaiser |
Dr. Treeves | Erwin Bruhn |
Dr. Pimble | Uwe Achilles |
Anna | Claudia Stangl |
Mrs. Kendal | Elena Brandes |
Freaks | Uwe Achilles, Horst Eder, Johannes Kaiser, Herbert Pendl, Peter Steiner |
Musiker | Andrei Kalisch, Teodora Miteva, Gerald Schuller, Sabri Tulug Tirpan Andreas Vanura |
Regie | Peter Lund |
Musikalische Leitung | Niclas Ramdohr, Gerald Schuller |
Bühnenbild und Lichtkonzept | Ulrike Reinhard |
Kostüme | Reinhild Blaschke |
Puppenkonzeption | Ulrike Reinhard, Reinhild Blaschke |
Korrepetitor | Tobias Barthelmeß |
Assistenz und Inspizienz | Eva Maria Gsöllpointner |
Kritiken
Kurier – 15.03.2004Wenn Außenseiter lieben
Er ist die Sensation auf den Jahrmärkten, wird als »sprachloses Monster« verhöhnt und letztlich sogar von einem Arzt als Kuriosität in die Londoner High Society eingeführt. Die Rede ist von John Merrick, der auf Grund einer seltenen Krankheit sein Dasein als »Elefantenmensch« fristen muss. Im Renaissancetheater zeigen Autor und Regisseur Peter Lund sowie Komponist Niclas Ramdohr ihre tragisch-schrille Version der »traurigen Ballade von John Merrick, genannt: der Elefantenmensch«. Ein weiterer Erfolg der Neuköllner Oper Berlin und eine Studie über die Liebe eines Außenseiters. Geschickt spielen Lund und Ramdohr mit allerlei Zitaten: Von dem Sketch »Dinner for one« über Shakespeare und Oscar Wilde bis zu »Die Schöne und das Biest« – lustvoll wühlen Lunds treffender, auch humorvoller Text und Ramdohrs süffige Musical-Melodien im Fundus der Kulturgeschichte. Gerald Schuller und Band haben die vielen Songs gut im Griff; szenisch kommt Lund mit wenigen Requisiten, einer Drehbühne und ein paar Theatervorhängen aus. Ein spiel- und singfreudiges Ensemble sorgt für atmosphärische Dichte. Gelungen.
Peter Jarolin
Der Standard – 16.03.2004
Der Elefantenmensch, die Moral und der Bildungsauftrag
Die ganze Grausamkeit von Mutter Natur bekam John Merrick am eigenen Leib zu spüren. Der Elefantenmensch – Die traurige Ballade von John Merrick erzählt eine wahre Geschichte aus dem 19. Jahrhundert. Peter Lund (Regie) und Niclas Ramdohr (Musik) haben diese für das Theater der Jugend – Premiere war ebendort vergangenen Freitag – bearbeitet und eine berührende musikalische Ballade geschrieben, in der es auch um das Erwachsenwerden geht. John Merrick wurde sein ganzes Leben lang bestaunt, missbraucht und bevormundet, dabei wollte er doch »nur« akzeptiert werden. Als ihn ein Arzt aus der entwürdigenden Rolle der Jahrmarktsattraktion befreite, in die er hineingeboren wurde, gelang ihm das auch – scheinbar.
Die Problematik von Menschen, die aus der Norm herausfallen, und die Notwendigkeit von gesellschaftlicher Toleranz sind zeitlos und werden Jugendlichen (ab zwölf Jahren) auch sehr nett, mit musicalähnlichen Songs – teilweise mit großer Ähnlichkeit zu Walt Disney's »Mulan« – vermittelt. Das Bühnenbild ist ziemlich farblos gehalten; dafür haben die Maskenbildner ganze Arbeit geleistet und u. a. einen normal gewichtigen Mann in eine fette Prostituierte verwandelt.
katau
Der Standard – SchülerStandard – 16.03.2004
Ernstes Stück mit Charme und Esprit
»Der Elefantenmensch« – ein Stück, das höchst aktuell ist, jedoch mit unnötigen Szenen teilweise ins Lächerliche gezogen wird. Applaus erntete es dennoch.
John Merrick, durch eine seltene Krankheit deformiert und äußerlich einem Elefanten nicht unähnlich, ist die Hauptattraktion einer Freakshow im viktorianischen London. Die Leute kommen, um diese »grausame Überraschung der Mutter Natur« zu bestaunen und sich an Johns Unbeholfenheit zu ergötzen. Erst als sich der Arzt Dr. Treves aus Mitleid und vor allem aus wissenschaftlichem Interesse seiner annimmt, erkennt er eine zarte, menschliche Seele – gefangen in diesem unmenschlichen Körper.
Wärme und Nähe
Das Gerücht von der Existenz des Elefantenmenschen und seiner sagenhaften Feinsinnigkeit verbreitet sich schnell in der Londoner High Society, und John Merrick ist bald ein begehrter Mann. Er wird zwar mit Geschenken überhäuft, doch herzliche Wärme, Verständnis und Nähe bleiben aus. Nur die pubertierende 14-jährige Anna, Dr. Treves' Tochter, fühlt sich genauso einsam und hässlich wie er und kommt Merrick näher. Da erkennt dieser das erste Mal seit dem Tod seiner Mutter, was es heißt zu lieben.
Letztes Jahr gab der Regisseur, Autor und künstlerische Leiter der Neuköllner Oper Berlin, Peter Lund, mit dem Musical »Jumping Jack« im Theater im Zentrum sein eindrucksvolles Wien-Debüt. Nun kehrt er mit zwei neuen Produktionen ans Theater der Jugend zurück. Die Voraufführung des Musicals »Die traurige Ballade von John Merrick, genannt: der Elefantenmensch« am 11. März im Renaissancetheater wurde von beinahe ausschließlich jungem Publikum mit tosendem Applaus bedacht.
Authentische Maske
Ansprechend sind vor allem die feinen Instrumentalarrangements von Niclas Ramdohr, die – ganz unabhängig vom Gesang – ihren eigenständigen Beitrag leisten. Mrs. Kendal (gespielt von Elena Brandes) versprüht mit ihrem »Denglish« und ihrer selbstironischen Art Charme und Esprit weit über die Bühne hinaus. Sowohl die Maske (Reinhard Blaschke) als auch die Figur des John Merrick (Samuel Schürmann) wirken äußerst authentisch.
Schade nur, dass der Ernst des Stückes hin und wieder durch unnötige Szenen beinahe ins Lächerliche gezogen wird – wahrscheinlich um die jüngeren Zuschauer anzusprechen und die niedrige Altersbeschränkung (ab 11 Jahren) zu rechtfertigen. Denn das Stück besäße ohne diese Szenen einen tiefen Ernst und trotzdem viel feinen Witz, der jedoch geschichtliche Kenntnisse und eine gewisse Reife voraussetzt.
Ein Besuch lohnt sich dennoch, weil das Stück – ganz ohne erhobenen Zeigefinger – anregt, sich mit der ergreifenden Geschichte des John Merrick auseinander zu setzen und die Geschichte gedanklich vom 19. Jahrhundert in unsere Zeit zu übertragen, wo sie höchste Aktualität besitzt.
Julia Wurm (16), BORG Hegelgasse 12, 1010 Wien
Der Standard – SchülerStandard – 16.03.2004
Gefangen in krankem Körper
Zweideutige Details, bedrückendes Finale
Ist John Merrick Prinz oder Monster? Gekonnt wird im Stück "Der Elefantenmensch" gezeigt, dass es auf die eigene Einstellung ankommt, wie man andere Menschen sieht. Das Schicksal des John Merrick berührt und regt zum Nachdenken an über den Umgang mit Menschen, die »anders« sind.
Die 14-jährige Anna fühlt sich allein gelassen und missverstanden. Erst als sie John kennen lernt, den alle aufgrund seiner Krankheit den »Elefantenmenschen« nennen, begreift sie, dass sie sich nicht nur auf das verlassen soll, was ihre Augen sehen, sondern auch auf ihre Gefühle. Während alle anderen Menschen John als Monster oder Forschungsobjekt, aber keinesfalls als normal denkenden Menschen mit Gefühlen sehen, lernt Anna ihn auf ihre Art und Weise näher kennen.
Keine Gefühle zeigen
Wer auf ein Happyend hofft, wird allerdings enttäuscht, auch das Finale bleibt bedrückend. Wie der Hauptdarsteller fühlt man sich als Zuschauer als »gesunder Geist in einem kranken Körper« gefangen. Peter Lund beabsichtigt nicht, die Gefühle des Elefantenmenschen darzustellen, sondern das Verhalten seiner Mitmenschen ihm gegenüber.
Trotzdem ist das Stück kein Trauerspiel. Das Stück wird von unterhaltsamen Sequenzen und zweideutigen Details aufgelockert. Auf alle Fälle ist das Stück sehr sehenswert – nicht zuletzt weil man etwas davon ins alltägliche Leben mitnehmen kann. Kaum jemandem wird es gelingen, das Theater zu verlassen, ohne seinen Umgang mit behinderten Menschen zu überdenken.
Birgit Danzer (17), BHAK Mürzzuschlag
Der Standard – SchülerStandard – 16.03.2004
Über das Anderssein der Anderen
Fesselnde Geschichte und gute Schauspieler
»Ich will ihn haben, kauf ihn mir!«, bettelt die verwöhnte Anna, als sie den Elefantenmenschen zum ersten Mal erblickt. Ja, die Rede ist von einem Menschen, eigentlich einer bemitleidenswerten Kreatur. Der durch eine Krankheit entstellte John Merrick wird als Attraktion zur Schau gestellt. Sein trister Lebensinhalt besteht darin, den ganzen Tag am Jahrmarkt zu stehen und von den Leuten bestaunt und gedemütigt zu werden.
Ersatz für Haustier
Annas Vater, der Arzt Dr. Treves, verändert sein Leben, als er John aus wissenschaftlichem Interesse bei sich aufnimmt. Anna freut sich über John, denn er ist der Ersatz für das Haustier, das sie nie hatte. Doch dann verliebt sie sich in ihn, was John vorerst nicht bemerkt. Der »Elefantenmensch« ist eine fesselnde Geschichte über das Anderssein.
Regisseur Peter Lund versucht, das Stück jugendgerecht zu inszenieren, was ihm ausgezeichnet gelungen ist. Vor allem aber besticht die junge Anna (gespielt von Claudia Stangl) durch ihre hervorragende gesangliche, aber auch schauspielerische Leistung. Das immer wiederkehrende musikalische Hauptthema – komponiert von Niclas Ramdohr – passt sehr gut zur traurigen Inszenierung. Weniger gute Leistungen im gesanglichen Bereich bieten die »Freaks«, was dem guten Gesamteindruck des Stückes aber keinerlei Abbruch tut.
Agnes Steinberger (13), BG/BRG Mürzzuschlag