Sprungnavigation:
  • Heidi Heidi
 

2002/2003

Heidi 6 +

von Thomas Birkmeir
nach einem Roman von Johanna Spyri


Uraufführung

Stückinfo

Ort: Renaissancetheater, Neubaugasse 36, 1070 Wien
Zeitraum: 07. Dezember 2002 - 27. Januar 2003
Premiere: 10. Dezember 2002
Regie: Thomas Birkmeir

»Guten Tag, wir möchten beide wieder die Schweiz besuchen, nicht wahr? Wiesen, die sich vor unseren Augen ausbreiten, blauer Himmel und grandiose Berge. Dort auf dem Walkman die Heidi-CD hören ... das ist ein Zustand des höchsten Glücks.«

Tatsuno, japanischer Heidi-Fan, auf einer der zahllosen japanischen Heidi-Fansites im Internet

Mit dem Aufstieg des Waisenmädchens Heidi über einen schmalen Berggrat zu seinem Großvater auf die Alm begann auch der Aufstieg einer der berühmtesten Figuren auf der »ewigen Hitliste« der Kinderweltliteratur.

Vom Großvater, dem raubeinigen Alm-Öhi, zunächst abgelehnt, gewinnt sie dessen Herz durch entwaffnende Offenheit und pure Lebensfreude. Heidi ist gut, Heidi hilft, Heidi ist für uns alle da? Für den verstockten Geißenpeter und die blinde Großmutter genauso wie für die einsame, an den Rollstuhl gefesselte Klara. Der Gutmensch der Kinderliteratur?

Nein, denn Heidi wird herumgeschubst - von den Erwachsenen und besonders von Fräulein Rottenmeier. Und Heidi verweigert sich, verweigert zu essen - und wird kränker als alle, denen sie gerne helfen möchte? Nur ein Wunder kann Heidi retten - und das Leben hält es für sie bereit!

Die Heidi-Romane haben siebenstellige Auflagen erreicht, und es ist wenig vermessen von einem »modernen Mythos« zu sprechen. Sowohl in den USA als auch in Japan findet sich »Heidi« auf den Spitzenplätzen der »beliebtesten Taufnamen«! Heidi heilt - doch Heidi bringt auch Geld: In der Schweiz streiten derzeit mehrere Kantonsgemeinden im Bündnerland über den Rechtszuspruch, das »Original-Heidi-Haus« vermarkten zu dürfen. Heidi, ein effizientes modernes Label - Sehnsucht nach der guten alten Zeit? Ohne Zweifel ist das »einfache« Mädchen die berühmteste Schweizerin -- weit vor Wilhelm Tell oder DJ Bobo.

Grund genug für das Theater der Jugend, dem Mythos Heidi zu folgen und der Frage nachzugehen, woraus im Internetzeitalter diese Berg- und Talgeschichte ihre Kraft bezieht und warum sie - im Gegensatz zu vielen anderen ähnlichen Büchern - so spielerisch den Lesergeschmack des neunzehnten Jahrhunderts überleben konnte.

Besetzung

Heidi Eva Neubauer
Geißen-Peter Manuel Witting
Alm-Öhi Horst Eder
Erzählerin/Großmutter Christel Mayr
Der Großbauer Peter Steiner
Der Großknecht Bertram Mödlagl
Der Dorfpfarrer Klaus Rott
Ein Ministrant Herbert Pendl
Der Dorflehrer Uwe Achilles
Das Dorffaktotum Johannes Kaiser
Die Pfarrköchin Michaela Kaspar
Eine Jungbäuerin Marie-Christine Friedrich
Ein Jungbauer Manuel Witting
Klara Marie-Christine Friedrich
Fräulein Rottenmeier Michaela Kaspar
Sebastian Uwe Achilles
Dienerschaft im Hause Sesemann Johannes Kaiser, Bertram Mödlagl, Klaus Rott, Herbert Pendl, Peter Steiner
Inszenierung Thomas Birkmeir
Bühnenbild Andreas Lungenschmid
Kostüme Irmgard Kersting
Musik Klaus Erharter
Lichtgestaltung Lukas Kaltenbäck
Dramaturgie Marlene Schneider
Assistenz und Inspizienz Kathrin Lebisch
Kostümhospitanz Johanna Naatz

Kritiken

Kronen Zeitung – 12.12.2002

Wiedersehen mit dem Sturschädel

Am 23. Dezember feierte das Theater der Jugend sein 70-Jahre-Jubiläum. 1932 gegründet, erscheint es 2002 kein bisschen »in Ehren ergraut«. Denn nach Reinhard Urbachs Erfolgsära zeigt auch Jungdirektor Thomas Birkmeir viel Geschick: Diesmal auch als Bearbeiter und Regisseur von Johanna Spyris »Heidi«.

Es ist Mai im Schweizer Alpendorf Maienfeld, als sich Spyris ewiges Kind Heidi ins Herz des mürrischen Großvaters, des Alm-Öhi schwindelt, mit dem Geißen-Peter den Blutschwur leistet und das »Dorfvolk mit Volksmeinung« in Aufruhr versetzt. Aber was hat der »alpine Sturschädel« nicht alles über sich ergehen lassen müssen: Zeichentrick-Banalitäten und Musical-Schmalz.

Birkmeir, der Theaterenthusiast, geht den nettesten Weg: Er lässt den Figuren ihren Reiz, appelliert mit ihnen für Toleranz und macht sie zu neuen Freunden für die Kinder von heute. Und lässt die Schar am Ende gar auf Weltreise gehen. Papa Sesemanns Geld macht es möglich. Weil: Heimat ist dort, wo Freunde sind!

Ob beim Alpenglühen oder in Frankfurt bei Klara und der Matrone Frau Rottenmeier: Eva Neubauer durchlebt flink und liebenswürdig die Abenteuer des Mädchens. Ein wenig mehr Herz wird sie noch dazu bekommen. Horst Eder (Alm-Öhi) steht die neue, dank glänzender Kinderaugen erwachte Sanftmut perfekt. Und Manuel Wittings Geißen-Peter erweckt nicht nur mit schrillen Pfiffen Aufsehen: Ein verschmitzter, sympathischer Bursche spürt da erste Liebeswallungen.

Aber auch Marie-Christine Friedrichs zerbrechliche Klara, Michaela Kaspars resolute Rottenmeier und Uwe Achilles' Diener Sebastian bescheren bei Birkmeirs kuzweiliger Inszenierung im ideenreichen Bühnenbild von Andreas Lungenschmid klugen Spaß mit Sinn. Begleitet von Christel Mayr als Erzählerin zeigen die alten und neuen Gesichter des Theaters der Jugend im Renaissancetheater Theaterspiel mit hohem Niveau.


Thomas Gabler


Wiener Zeitung – 13.12.2002

Über Ehrlichkeit und Liebe

Für Kinder ab sechs Jahren bringt das Theater der Jugend jetzt im Renaissancetheater »Heidi«, nach Johanna Spyri, in einer Bühnenfassung und in der Inszenierung von Thomas Birkmeir. Farbig, temperamentvoll und spannend wird die Geschichte von dem kleinen Waisenmädchen erzählt, das zum Alm-Öhi (seinem Großvater) in die Berge kommt, dann eine Zeit lang in der Stadt lebt, einem reichen Mädchen hilft seine Behinderung zu überwinden, doch die Sehnsucht nach der freien Natur niemals verliert.

Heidi ist ehrlich, sagt immer, was sie sich denkt, handelt nach ihrem Gefühl und schließt Kompromisse nur aus (Nächsten-)Liebe. Wild und ungebärdig manchmal, ist sie doch das Vorbild schlechthin: das weibliche Pendant zum »reinen Toren«, ein Mensch der immer »im Zweifelsfall geradeaus« geht, ein Geschöpf voll Hoffnung, Glaube und eben Liebe. Birkmeir hat das glänzend herausgearbeitet und dafür kann man auch diskret darüber hinwegsehen, dass er stellenweise doch etwas überdimensional Klischees bedient.

Birkmeirs Inszenierung ist rasant und einfühlsam. Und er hat in Eva Neubauer als Heidi eine hinreißende Hauptdarstellerin. Überzeugend ist auch Manuel Witting als Geißen-Peter, ausgezeichnet Horst Eder als Alm-Öhi. Sehr profiliert Marie-Christine Friedrich als Klara und Uwe Achilles als Kammerdiener Sebastian. Im flexiblen Bühnenbild von Andreas Lungenschmid und in Kostümen von Irmgard Kersting agieren weiter bestens Michaela Kaspar, Christel Mayr, Peter Steiner, Bertram Mödlagl, Klaus Rott, Herbert Pendl und Johannes Kaiser. Für die Musik sorgte Klaus Erharter.

Lona Chernel


ORFon Kultur – 11.12.2002

Renaissancetheater: Erfolg für »Heidi«

»Heidi«, im 19. Jahrhundert ersonnen von der Schweizerin Johanna Spyri, hat ein bewegtes Leben in Buch-, Film- und Zeichentrickform hinter sich. Im Wiener Renaissancetheater hat sie nun der neue Leiter des Theaters der Jugend, Thomas Birkmeir, auf die Bühne geholt. Er zeigt Heidi ohne jeden Heimatabendkitsch als eine kleine Schwester des Wilhelm Tell, die selbstbewusst und sturschädelig ihren Freiheitsdrang gegen alle Zurichtungsversuche behauptet.

Je komödiantischer und ausgeflippter die recht konventionell beginnende Inszenierung wurde, desto mehr ging das junge Publikum bei der Uraufführung mit, berichtet die APA.

Heidi nicht niedlich

Heidis Heimat besteht in Andreas Lungenschmids Bühnenentwurf aus einem steil ansteigenden weißen Bretterboden inmitten eines angedeuteten Bergpanoramas. Aus der schiefe Ebene kann allerlei herausgeklappt werden, von der Hütte des Alm-Öhis bis zum Ziegenstall.

Hier gelingt Heidi (keine Spur niedlich: Eva Neubauer) die Umwandlung ihres Großvaters (souverän in allen Facetten der Figur: Horst Eder) vom menschenverachtenden »bösen Berg-Zwerg« zum kinderliebenden Reserve-Weihnachtsmann, der sich von seinem Enkerl nicht nur die strubbelige Mähne und den Bart, sondern auch Augenbrauen, Nasen- und Ohrenhaare schneiden lässt.

Heidi wird Adelheid

In dieser Idylle gibt es aber nicht nur einen Geißen-Peter (Manuel Witting beeindruckt mit schrillem Pfiff) und ein Echo, das sich weigert, allzu komplizierte Schimpfworte zurückzuwerfen, sondern auch eine grell gezeichnete Dorfgesellschaft, die Außenseiter nicht leiden kann (»wer uns nicht passt, passt nicht zu uns!«) und das Kind entführt, um es anderen Erziehern zu überantworten.

Also findet sich Heidi nach der Pause als »Adelheid« in einem mit Trophäen gefüllten Raum eines Herrschaftssitzes in Frankfurt. Hier, bei den Deutschen (»ein Volk, das viel darüber nachgedacht hat, wie es die Welt an seinem Glück teilhaben lassen kann«), soll ihr Disziplin beigebracht werden. »Ein bisschen Deutschland hat noch niemandem geschadet«, meint das spitze Fräulein Rottenmeier (Michaela Kaspar).

Konflikt der Erziehungsprinzipien

Birkmeier inszeniert lustvoll das Aufeinanderprallen zweier Erziehungsprinzipien: Das Rottenmeier'sche »Man lebt nicht zum Spaß, man lebt, um seine Pflicht zu erfüllen« findet jedoch am Ende weniger Anhänger als die Parole »Bildung ist das halbe Leben, doch auch die andere Hälfte muss es geben«, mit der Diener Sebastian (Uwe Achilles hat großen Spaß dabei) Heidi und ihrer Freundin Klara (Marie-Christine Friedrich) beispringt.

Am Ende siegt nicht nur alpine Anarchie über deutschen Drill, sondern auch Freiheitssehnsucht über Heimatliebe.

Publikum begeistert

Heidi, der Alm-Öhi und der Geißen-Peter kehren nicht zu den engstirnigen Schweizern heim, sondern gehen mit den neuen Freunden auf globale Entdeckungsreise, die sie bis nach Afrika und auf den Himalaya führt. Denn die Heimat ist dort, wo die Freunde sind. Eine Erkenntnis, der sich das junge Publikum mit großer Begeisterung anschloss. Die Aufführung wird für Kinder ab 6 Jahren empfohlen.


Die Presse – 16.12.2002

Das »Heidi« als ein emanzipiertes Märchen

Thomas Birkmeir hat für das Wiener Theater der Jugend, das er leitet, »Heidi« kräftig bearbeitet - und inszeniert.

Amadeus, Antoinette - und jetzt Heidi. Der neue Leiter des Wiener Theater der Jugend setzt auf bekannte Formate. Das Signet Uraufführung mag ein wenig übertrieben sein. Das Grundgerüst von Johanna Spyris »Heidi«-Roman wurde beibehalten. Thomas Birkmeirs Version ist ein Derivat. Als solches verströmt es den süßen und scharfen Duft der Rebellion.

Grob verzeichnet erscheinen die Dorfbewohner, bekannte Karikaturen aus der alpenländischen Dramaturgie: streng religiös, borniert, brutal, die übliche undifferenzierte Darstellung. Die geballte Faust, die das Theater seit Jahrzehnten der Religion entgegen streckt, das Ausblenden der tröstlichen, der philosophischen Aspekte, wirkt längst billig. Ersatz-Mysterien sind oft auch nicht ungefährlich.

Immerhin: Auf einer solch dunklen Projektionsfläche kann Heidi (frisch, lebhaft, Eva Neubauer) umso heller strahlen. Sie hat Bearbeiter und Regisseur Birkmeir gut im Griff. Dieses Kind sucht naiv und stur seinen eigenen Weg, es beharrt auf Humanität, Liebe, Freundschaft. Die Ablehnung, die ihr der Großvater entgegenbringt, wirkt heftig und schwindet rasch, wie das bei Aufwallungen oft ist. Horst Eder zeigt den Alm-Öhi als vereisten, verwunschenen Einsiedler. Heidis kecke Fragerei, das beliebte Motiv des reinen Toren ist hier verpackt, irritiert den Alten, aber er spürt, er muß sich stellen, um aufgetaut und geheilt zu werden.

Kaum ist er geheilt, entführen die mißliebigen Dörfler, an der Spitze der zögerliche, letztlich aber überrollte Pfarrer (Klaus Rott) das Kind in die Stadt. Ins schöne Deutschland, wo Recht und Ordnung herrschen. Aber auch dort sorgt Heidi bald für heftiges Tauwetter nebst emotionalen Lawinenabgängen.

Birkmeir beweist einmal mehr sein Geschick für theatralische Effekte. Das Ensemble zeigt, wie meist in seinen Inszenierungen, Qualitäten. Karg, aber ebenfalls zwingend, die Ästhetik des Ambientes (Bühne: Andreas Lungenschmid, Kostüme: Irmgard Kersting). Die Natur, die bei »Heidi« wichtig ist, hat ihr eigenes Spiel im Spiel, vom krachenden Baum, der sich selbst rekonstruiert bis zum Gestöber von Schnee und Laub.

Wenn Birkmeir noch ein paar »schicke«, modische, aber verbrauchte Reflexe weg läßt, könnte das Theater der Jugend auf gutem, neuem Wege sein.

bp